Kieselblog

Flusskiesels Tagebuch

2025-09-21 Sonntag

Die Nacht ist sehr unruhig. In der „Bar Baza“ neben dem Hotel ist Livemusik. Die Stimmung ist offensichtlich sehr gut. Die Ohrenstöpsel helfen.

Mir träumt ein Alptraum, der mir das Herz zu brechen droht. Unblogbar.


Der Wecker klingelt um sechs Uhr. Die Meditation klappt mittelmäßig. Dafür, dass ich heute weiterreise und entsprchend aufgeregt bin, geht es aber ganz gut.

Frühstück im Hotel. Ich esse das ganze Toastbrot auf, weil ich damit rechne, dass es heute Mittag nichts oder nur wenig zu essen gibt. Bin danach sehr satt. Das große Stück Melone schmeckt wieder gut.

Danach packe ich meine Sache. Erst als ich den Duffel Bag voll habe, fällt mir auf, dass ich ihn falsch herum gepackt habe. Das Glück im Unglück: Beim Umpacken bin ich umsichtiger und packe klüger. Ich bin sehr froh, dass ich mir diese Reisetasche gegönnt habe.

Da ich beim Frühstück einige Tässchen Espresso zu mir genommen habe und jetzt auch die Aufregung steigt, verzichte ich auf Kaffee im Hotelzimmer, auch wenn ich den leichten Drang verspüre, die Bialetti auszupacken. Es macht einfach Spaß, sich auf dem Zimmer einen Espresso selber zu machen und dazu schmeckt er mir auch noch sehr gut.

Ich notiere die letzte Nacht und den Morgen, nutze noch das sehr gute WLAN hier. Es ist acht Uhr und ich muss erst gegen neun Uhr los. Selbst dann bin ich sehr früh dran.


Auf dem Weg zum Bahnhof ist es schon sehr warm. Da ich wie immer viel zu früh da bin, setze ich mich von ins Café im Bahnhofsgebäude. Mittagessen scheint es hier nicht zu geben, also werde ich improvisieren müsssen.

Im Café hört man Rock und Metal und das gefällt mir.


Das Grenzmuseum, ebenfalls im Bahnhofsgebäude, ist sehr klein und sehr gefüllt. Die meisten Ausstellungsstücke sind Fotografien, es gibt aber auch die eine oder andere Uniform. Infotafeln haben QR-Codes, welche direkt auf eine Internetseite mit einer Sprachauswahl (Slowenisch, Italienisch, Englisch) führt. Tippt man dann eine der Sprachen an, wird die Sounddatei geladen. Sehr einfache und zuverlässige Lösung!

Im Hauptraum gibt es noch ein sehr großes Display, gezeigt wird, wie Models in Lebensgröße die verschiedenen Uniformen der Grenztruppen vorführen.

Die Grenze zwischen den Blöcken wurde in der Anfangszeit nur als Provisorium betrachtet, denn es wurde noch viel ihre Ziehung verhandelt. Ich vermute, die Menschen hier haben diese (buchstäbliche) Linie auf dem Boden nicht ganz ernst genommen, bis eines Morgens auf einmal dort Stacheldraht war. Es gab große Dramen, getrennte Familien, geteilte Friedhöfe, geteilte Felder. Doch man hat sich arrangiert. Die Grenze war nicht komplett undurchlässig und Leute mit Besitz auf der anderen Seite konnten mit einer Erlaubnis rüber. Später kamen immer mehr Ausnahmen hinzu, z.B. für Händler und Ärzte. Die Grenzziehung wurde an einigen Stellen auch so korrigiert, dass jetzt keine Häuser mehr geteilt wurden.

Auf einem Monitor laufen Video-Interviews. Eine Frau berichtet, wie sie Freundschafts-Wanderungen von Slowenien nach Italien organisiert hat. Wie das trotz aller Probleme geklappt hat und die Barrikaden sich für die Gruppe öffneten. Später gab es auch zeitgleich eine Radtour nach Gorizia. Man traf sich auf dem Don-Bosco-Platz, wo es Pasta für alle gab:
„Nicht jeder mochte Pasta, aber trotzdem freuten wir uns alle darauf. Das war die beste Pasta, die man sich vorstellen konnte!“

Eine Frau erzählt von ihrer Kindheit im Niemandsland. Ein gespenstisches Leben, aber für sie als Kind war das ja alles vollkommen normal. Nachts durfte man das Haus nicht verlassen, denn es liefen nachts draußen Flüchtlinge herum und es wurde auf sie geschossen. Am nächsten Tag ging sie mit ihren Eltern dann raus und auf das Feld auf der anderen Seite der Grenze. Dazu musste man den Checkpoint nutzen und einen langen Umweg in Kauf nehmen. Mit der Zeit kam es auch hier zu Lockerungen: Die Grenzsoldaten kannten einen, unterhielten sich sogar mit einem. Einmal fand die Frau am Ufer des Isonzo eine Gruppe Flüchtlinge mit Kindern, vielleicht 15 oder 20 Leute. Sie weiß nicht, wo die herkamen, vielleicht waren es Bosnier. Die Leute hatten nichts zu essen und wussten nicht, wo hin. Die Frau ging nach Hause und packte eine Schubkarre voll Essen und Süßigkeiten, brachte sie den Flüchtlingen und sagte ihnen, dass weitergehen sollen. „Ihr habt mich nicht gesehen!“

Eine Frau, die mal Lehrerin (oder Schuldirektorin?) in Slowenien war, erzählt von den Sportveranstaltungen über die Grenze hinweg. Wenn slowenische Sportler einen Pokal in Italien gewannen, waren diese oft groß und prachtvoll. So etwas kannte man in Slowenien nicht und deswegen war man hier sehr davon beeindruckt. Die Pokale wurden ausgestellt und tatsächlich blieben die Kinder häufig davor stehen und bewunderten diese Kunstwerke. Jetzt sind sie in einem Museum.

Ein alter Mann erzählt von der „Countess“ Lyduska, die mit ihm zusammen aufgewachsen ist. Da sie nach einem Unfall als Kind nicht mehr gut laufen konnte, ritt sie gern. Im Winter war die Familie dann auf ihren Besitzungen in Kenia. Man merkt, dass der Mann noch heute von dieser sehr schönen Frau schwärmt. dass er einmal während seiner Wehrdienstzeit einen freien Tag hatte. Kameraden und er fuhren mit dem Bus in eine Waldgegend, weil diese sie an die Heimat Slowenien erinnerte. Auf einmal sahen sie Diplomatenfahrzeuge. Sie hielten an und aus einem der Autos stieg eine wunderschöne, geschminkte Frau. Sie sah fast so aus wie Lydushka, aber leider war sie nicht.

Später sehe ich noch ein Video über Lyduska. Durch ihre familiären Verbindungen zur britischen Kolonialverwaltung in Kenia kannte sie sogar Sarah Churchill (Tochter von Winston Churchill). Die Dokumentation lässt ahnen, dass sie ihren Einfluss dazu genutzt hat, dass das Land ihrer Familie bei der Teilung in Italien blieb. Sie war auch gut mit dem amerikanischen General bekannt, der für die Grenzziehung zuständig war.

Lyduska ist auf dem Friedhof in Solkan beigesetzt. Von ihrem Haus in Italien hat sie immer rüber geschaut auf die Ufer die Isonzo, wo sie als Kind gespielt hat und nun schaut sie von dieser Seite aus hinab.

Vor genau diesem Friedhof habe ich am Tag zuvor meine Pause gemacht.


Ich habe das Museum durchgespielt und gehe wieder nach draußen. Hier gibt es noch mehr Außengastronomie, aber hier möchte ich mich nicht hinsetzen. Es ist mir zu warm und hier sind mir zu viele Menschen. Also gehe ich in den Bahnhof und setze mich in den schönen Wartesaal. Im Snackautomaten finde ich Studentenfutter (70g). Das ist eine ganz gute Mittagsmahlzeit. Immerhin gute Fette und kein Zucker.

Gehaltvolles Warten mit Lesen, Schreiben, Gucken und Denken.

Menschenbeobachtung: Ein hagerer, tätowierter Mann kommt in den Wartesaal. Er trägt große Kopfhörer. Auch wenn ich nichts hören kann, weiß ich, dass er Techno auf den Ohren hat. Er wirkt aufgekratzt. Holt sich einen Kaffee am Automaten, läuft wieder hinaus. Später kommt er wieder rein. Kauft am nächsten Automaten Süßigkeiten. Zappelt dabei. Er lässt jedes Mal die Tür nach draußen offen stehen. Jedes Mal steht ein Mann auf und schließt sie wieder, damit die Hitze nicht rein kommt.

Den Kaffee am Automaten gibt es in zwei Qualitätsstufen und Preisen. Für einen Automatenkaffee schmeckt der echt gut (habe den teureren genommen für 1 Euro pro Becher). Immerhin liegt Italien keine 50 Meter von hier entfernt!


Die Zugfahrt nach Divaca verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Ich lese weiter „Falken“.

In Divaca habe ich schon letztes Jahr über eine Stunde auf den Bus gewartet. Jetzt ist es ruhig, sonnig und angenehm warm. Beim letzten Mal war ich aufgeregt und ängstlich, wann und wo und wie und warum und mit wem der Bus wohl fährt und ob ich mitgenommen werde oder ob ich man schreiend mit Peitschenhieben davonjagt, aber in diesem Jahr ist da eine ausgeschilderte Ersatzbushaltestelle. Es gibt auch einen QR-Code und auf der hinterlegten Internetseite wird die Abfahrtszeit bestätigt.

Ich bin entspannt. Ich bin im Moment. Mein Leben findet jetzt gerade statt. Egal, was passiert.

Das Studentenfutter aus dem Automaten hält lange vor. Ich denke, ich werde tatsächlich bis morgen früh fasten.


Ankunft in Koper gegen 18 Uhr. Ich rufe die Frau vom Hostel an und laufe dann los. Den Weg kenne ich fast noch vom letzten Jahr. Er ist trotzdem anstrengend wegen des schweren Gepäcks. Notiz an mich: Das nächste Mal nicht nur auf das Volumen, sondern auch an das Gewicht des Gepäcks denken!

Das „Bife“ des Hostels hat zur Zeit geschlossen, bzw. es gibt einen Notbetrieb mit einem Imbisswagen, da der Platz vor Hostel und Museum neu gepflastert wird. Ich bekomme wieder das selbe Zimmer wie das letzte Mal und bin damit zufrieden, auch wenn man für das Bad einmal den Flur überqueren muss. Also werde ich auch nachts auf die Frisur achten müssen!


Direkt nach dem Check-in mache ich einen Spaziergang ans Meer. Die Pizzeria Marina hat leider Betriebsferien. Also keine Lachspizza für mich! Die hatten der Thronfolger bei meinem Besuch im letzten Jahr sehr geschätzt und ich hatte mich schon sehr darauf gefreut.

Die kleine Bäckerei in der Nähe des Tito-Platzes macht um sechs Uhr morgens auf. Das ist gut, denn ich werde sicher sehr hungrig sein. Habe seit dem Studentenfutter heute Mittag wirklich nichts gegessen. Manchmal staune ich schon über mich selber, wie gut ich das mit dem Fasten hinbekomme.

Zeitig zu Bett.

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