Reblog: Riesenrutsche

Wir liefen über die kleine Dorfstraße. Friedlich lehnten sich die Häuser aneinander. Kinder riefen, lachten, rannten. Mütterlein Riemchen schleppte Holz, der Schmied ging ihr zur Hand. Am Dorfausgang hatte der verrückte Alte wieder diese seltsame Wäscheleine über den Weg gespannt, an der Leine hing eine gespannte Mausefalle.

Fragte man den verrückten Alten, warum er das immer wieder machte, so lachte er nur meinte:
“Man weiß ja nie! Man weiß ja nie!”

Nun, eigentlich störte das auch niemanden, denn der Weg führte vom Dorf aus steil hinauf ins Gebirge und dorthin ging so gut wie nie einer.

Doch heute passierte etwas:

Das Mutter Riemchen hatte gerade ihre Haustüre erreicht, da ertönte ein donnerndes Rumpeln! Ein rumpelndes Donnern! Ein ronnerndes Dumpeln!

Alle schauten auf zum Gebirge. Von dort oben kam etwas den kleinen Weg herunter! Etwas sehr Großes – und es kam direkt auf unser Dorf zu! Mutter Riemchen stürzte in ihr Haus, ich griff mir eines der kleinen Kinder neben mir. Alle liefen hin- und her.

Ein Riese kam ins Dorf!

Der Riese kam gerollt und gehastet, walzte die Wäscheleine nieder und kam mitten auf dem Dorfplatz zum Liegen. Einen Moment bewegte er sich nicht. Wir bewegten uns auch nicht.

Niemand sprach ein Wort.

Der Riese stöhnte und setzte sich auf. Ganz langsam bewegte er sich. Er hatte ein rundes Gesicht und war ganz dick.

Der Dorfschulze kam angehastet, das Lätzchen noch um die Brust. Er kam vom Mittagessen. Er grüßte diesen großen Gast. Wollte gar freundlich und höflich tun.

“Hunger!” dröhnte es da aus des Riesen Kopf.
“Hat Hunger!”

Der Schulze verbeugte sich tief und rief die Dorfleute zusammen. Man brachte Essen:
Brot, Gemüse, Würste.

Der Riese nahm es an, bedankte sich nicht und stopfte sich alles in den Schlund. Dann rülpste er laut und sagte wieder:
“Hunger! Hat noch mehr Hunger!”

Wieder liefen alle los und schafften Essen heran. Was sollten wir auch tun? Gegen einen Riesen waren wir doch machtlos!

Wieder und wieder verlangte der Riese nach Speisung und wir holten alles an Vorräten, was wir finden konnten. Sollte er die Vorratskammern doch leerfressen! Bevor er sich an uns vergriff! An den Kindern!

Nur der verrückte Alte machte nicht mit, er baute fluchend seine Wäscheleine mit der Mausefalle wieder auf.

Als wir nichts, also wirklich gar nichts mehr zu Essen hatten, schien der Riese endlich zufrieden. Er kratzte sich den Kopf und sah sich um. Dann strich er sich den Bauch.

“Durst!” donnerte es nun “Hat großen Durst!”

Wieder rannten wir los und schafften heran, was ging:
Wasser aus dem Brunnen, Bier aus der Brauerei! Der Riese trank alles. Besonders das Bier schmeckte ihm:

Er nahm die Fässer wie einen Becher in die Hand und soff sie aus. Er rülpste und lachte.

Irgendwann hatte er auch den letzten Schluck Bier aus unserem Dorf ausgetrunken. Selbst der Brunnen gab nichts mehr her.

Da legte sich der Riese einfach hin und schlief an. Sein Schnarchen ließ den Staub auf dem Platz in der Luft tanzen.

Was sollten wir nun machen? Wenn er aufwachte, würde der Riese wieder Hunger und Durst haben?

Ein Gerede erhob sich.

“Binden! Wir müssen ihn Binden!” riefen die einen “Mit dicken, festen Stricken!”

“Die zerreisst er doch!” sagten die anderen “Wir müssen ihn Brennen! Mit heissem Feuer!”

“Dann wacht er auf und schlägt uns alle tot!” sagten darauf wieder die anderen!

Und so ging es hin und her.

Einer meinte sogar, man solle dem Riesen einfach den verrückten Alten anbieten. Doch bevor auch nur einer etwas dagegen sagten konnte, erbebte die Erde erneut. Doch jetzt viel stärker als bei unserem Riesen.

Alle Augen richteten sich auf das Gebirge. Ein riesiger, ein gewaltiger Riese kam auf uns zu, viel größer als der auf unserem Dorfplatz. Seine Beine waren wie Kirchtürme, sein Gesicht irgendwo hoch oben in den Wolken. Neben ihm lief ein Riesenhund einher, groß wie ein Haus und wild wie ein Häscher des Satans.

Hatten die etwa auch Hunger?!

Am Dorfrand blieb der große Riese stehen. Dann beugte er sich zu uns herunter und packte den Schlafenden am Kragen. Er hob ihn hoch und nahm ihn in den Arm.

Der Riese wiegte sein Kindchen und machte sich auf den Weg zurück in die Berge. Er griff noch in seine Hosentasche und ließ etwas Glitzerndes fallen.

Es plumpste uns vor die Füsse.

Eine Münze.

Eine Goldmünze.

Eine Goldmünze so groß wie ein Wagenrad.

Wir konnten unser Glück nicht fassen. Alle Männer nahmen ihre Hüte ab und manch einer sprach ein Dankesgebet an unseren Herren und Schöpfer.

Ich sah den Riesen hinterher. Der Höllenhund stand noch am Dorfeingang und schaute.

Da entdeckte er die Wäscheleine und schnüffelte daran.

“Klack!”

Machte die Mausefalle.

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