Reblog: Regen

Es war den ganzen heiß gewesen und die Sonne hatte unbarmherzig auf die kleine Stadt hinunter gebrannt.

Nun hatten sich dunkle Wolken vor die Sonne geschoben und die Luft war feucht und elektrisch aufgeladen. Die Milch in den Kühlschränken wurde sauer und der Kellner stellte hastig die Tisch ins Innere des kleinen Straßencafés. Ein starker Wind kam auf. Er brachte die Tischtücher zum Flattern, doch er brachte keine Kühlung.

Ein Mann betrat den Platz, doch der Kellner hatte viel zu viel mit den Tischen und den Tischdecken und den Aschenbechern und den Servietten zu tun als dass er sich darüber wunderte, warum der Mann trotz der Hitze einen langen Wintermantel trug. Auch die Kinder beachteten ihn nicht, denn die Mütter hatten laut und besorgt nach ihnen gerufen.

„Aus Zucker! Wir sind doch nicht aus Zucker!“ lachten die Kinder ihre Mütter aus, liefen aber trotzdem schnell an dem Fremden vorbei nach Haus.

Der Wind nahm zu und die Menschen schlossen Türen und Fenster und die Läden davor. Der Mann jedoch ging langsam bis zur Mitte des Marktplatzes.

Da hörte der Wind auf zu Pusten und es wurde für einen Moment ganz still.

„Plack!“ machte ein dicker Regentropfen auf dem staubigen Straßenpflaster.

„Plack!“

Noch einer.

„Plack!“

Noch einer.

Die Regentropfen malten ein Leopardenmuster auf den Marktplatz. Der Fremde öffnete seinen Mantel und ließ ihn von den Schultern gleiten.

Unter dem Mantel war er vollkommen nackt.

„Plackplackplackplack!“

Immer mehr dicke Tropfen fielen aus den dunklen Wolken am Himmel und auch viele von ihnen trafen den nackten Mann mitten auf dem Marktplatz der kleinen Stadt.

Jeder der Regentropfen hinterließ ein tiefes Loch in der Haut des Mannes.

Er lächelte selig und breitete die Arme aus.

Der Regen wurde stärker und stärker. Inzwischen goss es in Strömen und je mehr Wasser ihn traf, desto mehr löste er sich auf. Sein linker Arm war schon ganz dünn und durchlöchert und fiel ab, der rechte Arm folgte seinem Bruder schon nach wenigen Augenblicken. Der Mann wurde kleiner und kleiner und immer mehr von ihm floss mit dem Regen davon über den Platz,

in den Gully,

durch die Kanalisation,

in den Fluss,

bis ins Meer.

Kurz bevor sein Kopf verschwand, formten die Lippen des Mannes noch ein tonloses Wort:

„Zucker.“

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