In meiner Jugend fuhr noch der Schorfhändler durch die Straßen.
Sein Pferdewagen war alt und klapprig und gezogen wurde er von einem dünnen, grauen Eselchen.
Der Schorfhändler kam jede Woche.
Er hatte eine Drehorgel dabei und sie spielte immer das selbe leise, traurige Lied.
Immer, wenn dieses Lied erklang, kamen die Leute aus ihren Häusern und Mietwohnungen und ließen sich von ihm den Schorf von den Gliedern raspeln.
An den Füßen war immer besonders viel zu holen, also streckten die Leute ihre schrundigen Zehen in die Luft über dem Dorfplatz.
Den Schorf wog der Händler dann ab und gab dann ein paar Pfennige dafür.
Vor hohen Feiertagen hatte der Schorfhändler immer viel zu tun: Manche Leute brachten sogar ihre Großeltern mit, um sich etwas Geld für den Schnaps zu verdienen.
Wir waren ja arme Leute damals!
Mir hat er mal das Knie abgeschorft. Ich hatte es mir beim Spielen verletzt und eine dicke, rote Kruste hatte sich darauf gebildet. Als wir das Lied des Schorfhändlers hörten, nahm mich mein Vater an die Hand und ging mit mir zum Dorfplatz.
Ich trug mein feines rotes Kleidchen und war sehr aufgeregt. Beim Anblick des Pferdewagens und des alten Schorfhändlers in seiner fleckig braunen Jacke musste ich Weinen, aber er tätschelte mir den Kopf und redete mir gut zu in seinem seltsamen Dialekt:
„Broost keene Engst zu heebe, kleene Meetsche!“
Später saß ich dann auf einem alten Holzstuhl, den der Schorfhändler von seinem Wagen geholt hatte und der Mann nahm mein rechtes Beinchen in seine Hände. Seine Hände waren groß – sehr groß – und seine Haut war rau und ganz hart. Doch ich erinnere mich noch gut daran, wie angenehm warm sie sich anfühlten.
Das Abschorfen tat fast gar nicht weh und von dem Geld kaufte Vater mir dann im kleinen Laden eine Zuckerstange. Eine Zuckerstange! Ganz für mich alleine!
Wir hatten ja nicht viel damals.
Den Schorf brachte der Händler dann immer zum Schorfplatz. Was dort mit dem Zeug geschah, weiß ich nicht mehr.
Eines Tages kam der Schorfhändler dann nicht mehr zu uns ins Dorf.
Er sei umgesiedelt worden, erzählte man uns Kindern. Er würde jetzt in der Ukraine Schorf sammeln und sei dort sicher glücklich.
Diese Lüge habe ich schon damals nicht geglaubt.