Mittelschlechte Nacht mit lautem Gebumse in der Wohnung über mir ab ca. zwei Uhr. Die Ohrenstöpsel, die bis dahin noch nicht notwendig gewesen sind, helfen sehr.
Mir träumt, dass ich auf dem Weg zur Arbeit bei einem orientalischen Kaffee-Imbiss einkehre. Eigentlich will ich Kleingeld wechseln und einen Kaffee kaufen. Doch vor mir ist ein verwahrloster junger Mann, der zwei ,,Fenada’’ bestellt (Teigtaschen, gefüllt mit Käse). Als er sie in den Händen hält, rennt er ohne zu Bezahlen nach draußen. Der Chef des Ladens, ein älterer Herr, versucht noch ihn aufzuhalten, oder junge Mann ist zu schnell. Auch über meinen hingestreckten Fuß springt er hinweg. Ich bin so verwirrt, dass ich, als ich an der Reihe bin, ebenfalls zwei ,,Fenada’’ kaufe, obwohl die überhaupt nicht in meine Ernährung passen.
Ich stehe um viertel vor fünf Uhr auf. Die Realität ist wieder zurück, allerdings ist noch ein diffuses Gefühl der Bedrohung da. Die morgendliche Meditation fällt mir schwer.
Irgendwann habe ich mir bei Koro Erdnussmus bestellt, weil ich das für eine gute Idee hielt. Heute will ich versuchen, es mal ins Müsli zu rühren, denn die Erdnüsse sind gerade alle und ich könnte es auf diese Weise verbrauchen. Das Mus hat sich im Glas abgesetzt und eine Ölschicht ist darüber. Leider ist das Mus inzwischen schon derart fest, dass ich es nicht umrühren kann und das Glas entsorgen muss. Dann gibt es das Kraftfutter heute also ohne erdnussigen Anteil, dafür glänzen geschmacklich die Kürbiskerne.
Mir kommt die Idee, dass sich die Filter, durch die ich Zeit meines Lebens die Welt wahrnehme, einfach verschieben, seitdem ich Gedanken und Gefühle nicht mehr automatisch versuche, „weg zu machen“.
Vielleicht trete ich langsam heraus aus dem Nebel meiner eigenen Gedankenwelt aus Phantasie.
Natürlich erschreckt mich das sehr, denn ich habe ja eine panische Angst vor Kontrollverlust.
Diese Erkenntnis macht mir Mut.
Warmer, heller Frühlingssonnenschein in der Mittagspause. Ich gehe schnell, denn ich möchte die Kolleginnen bald für ihre Pause ablösen.
Überall sind Ecken und Kanten, überall sind Menschen. Sie sitzen so komisch in der Gegend herum, als ob sie das Rauschen des Flusses nichts anginge. So als ob ihnen das Leid des Grases egal wäre.
Ich höre Musik und die Musik bewegt mich. Mit einem Mal bin ich voller Gefühl: Trauer, Wut, Freude, Sonne. Alles auf einmal, alles übervoll.
Als ich die Fußgängerbrücke über der Hafeneinfahrt beschreite, kommt mit dem Wind ein gewisser Frieden. Ich bin froh um das nahende Wochenende, denn dann habe ich Zeit für mich selber.
Die brauche ich auch im Moment sehr.
Schon komisch: Da bestelle ich mal ein Gerät, auf das ich mich wirklich wie Bolle freue, dessen Ankunft ich kaum erwarten kann und dann dauert die Lieferung bis zu 20 Werktage.
Vorfreude ist die schönste Qual!
(Update vom Abend: Das Gerät ist in Europa! Der niederländische Zoll hat das Paket gnädig durchgewunken! Es geht weiter!)
Die Nerven sind wund und roh. Wieder Fluchtgedanken. Ich bekomme Angst, dass das Gefühl der Gefahr doch nicht unbegründet sein könnte.
Die Welt ist mir zu viel. Die Welt war mir schon immer zu viel. Sie hat mir immer nur Angst gemacht. Nur konnte ich nicht aus ihr weg. Eine sehr frühe Kindheitserinnerung: Ich war vielleicht drei oder vier Jahre alt und ich wollte weglaufen. Bin einfach aus dem Haus gerannt. Meine Mutter hatte mich eingeholt, bevor ich an der Straße war.
Ich wollte weg.
Einfach nur weg.
Weg von allem.
Dann habe ich mir meine Vorhänge zwischen mich und die Welt gezogen. Meine Träumereien, meine Gedanken. Ich habe begonnen, meine eigenen Welten in mir selber zu bauen. Luftschlösser aus blauem Glas. Doch die Welt kam immer wieder zu nah und ich konnte einfach nicht weg von ihr.
Einmal habe ich dann richtig versucht und wenn der liebe Gott mir nicht einen kleinen Schubs zur Seite gegeben hätte, wäre ich jetzt tot.
Dann habe ich versucht, die Welt aufzuessen, damit sie mich in Ruhe lässt. Immer mehr in mich hineingestopft, damit ich immer größer werde und die Welt verdränge, aber das hat auch nicht funktioniert.
Irgendwann kam dann dann der Alkohol in mein Leben. Es schien wie eine tolle Lösung, die Welt einfach wegschmeidig wegzustreicheln und mit jedem Bier mehr sah doch alles nicht mehr so beängstigend aus. Fast schon nett war sie, die Welt, gesehen durch die Brille aus Promille.
Aber es hat natürlich nicht funktioniert: Je mehr ich trank, desto mehr rückte mir die Welt auf die Pelle.
Irgendwann konnte ich nicht mehr kämpfen und da habe ich gelernt, dass ich aufgeben muss. Wenn Du süchtig bist, musst Du lernen, aufzugeben. Solange Du konsumierst, kämpfst Du eigentlich immer dagegen an, noch mehr zu konsumieren. Wenn Du aufhörst, musst Du auch nicht mehr kämpfen.
Nun kämpfe ich auch nicht mehr gegen die Welt an und ich kann sie jetzt viel besser fühlen.
Doch sie macht mir Angst.
Solche Angst.
Endlich Wochenende! Endlich Zeit für mich!
Ich telefoniere mit meinen Eltern und mit der besten Ex-Frau von allen. Dann räume ich ein wenig herum und spiele sogar eine Stunde ,,Red Dead Redemption’’. Gerade versucht John Marston, mit seiner Familie auf seiner kleinen Farm wieder einen Fuß an die Erde zu bekommen. Da ich ja schon weiß, wie es endet, macht mich das ein wenig traurig. Auch kenne ich die Farm ja schon vom Epilog von Red Dead Redemption 2 (was die Vorgeschichte von Teil 1 ist).
Sehr zeitig zu Bett. Das alles strengt mich sehr an.