Kieselblog

Flusskiesels Tagebuch

Donur

Magister Donur seufzte und ließ sich auf den Felsen sinken, der gemeinsam mit einigen Kameraden unweit des Ufers ein wenig verloren am Strand lag. Ein bisschen fühlte sich auch Donur ein wenig verloren, aber das würde sich irgendwann wieder geben, so wie sich eigentlich alles irgendwann einmal gab in seinem Leben.

Bisher!

Das Meer rauschte beruhigend und es roch stark nach Salz und Seetang. Irgendwo in der Nähe verrottete wohl auch ein Fisch.

Seinen Rucksack hatte Donur in seinem Lager oben in den Dünen gelassen. Er machte sich keine Sorgen, dass jemand seine Sachen stehlen könnte, denn hier draußen gab es außer ihm keinen einzigen Menschen. Das ganze Ufer hier würde bald wieder vom Nebel erfasst und für normale Sterbliche zu einer Todeszone werden. Für normale Sterbliche, die keine Magister der wahren arkanen Kunst waren. Doch die Nebeltide würde noch bis zum Abend auf sich warten lassen und Donur hatte damit genügend Zeit für sein Vorhaben. Die Zeit reichte sogar noch eine gemütliche Pfeife am Strand! So ruhig und genüsslich, wie Donur seine einfache, beinerne Pfeife aus den tiefen Taschen seiner schwarzen Robe holte um sie dann mit geübten Handgriffen zu stopfen, hätte man glauben können, dass sein Herz in Wirklichkeit nicht vor Aufregung bis zum Hals klopfte.

Als ein kleines Zugeständnis an Bequemlichkeit und weil er trotz seiner Mitgliedschaft im schwarzen Orden doch ein ganz kleines bisschen eitel war, entzündete Magister Donur seine Pfeife mit einem Fingerschippen.

Der Tabak schmeckte wunderbar und für einen kurzen Moment konnte Donur seinen Geist vollkommen leeren. Die Blätter hatte er von einem Händler in Kapodistra erstanden. Das war notwendig geworden, seitdem man ihm verboten hatte, die Blätter selber zu pflücken und in der Bibliothek zwischen den Seiten irgendeines alten Quatschbuches zu trocknen.

Er entzündete die Pfeife noch ein drittes oder viertes Mal, bevor er sich eingestand, dass er nur versuchte, Zeit zu schinden, bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzen musste. Erneut seufzte er laut, klopfte die Pfeife am Felsbrocken unter sich aus und stand auf.

Donur ging die wenigen Schritte bis zum Wasser. Dort atmete tief ein und aus, bevor er die Augen schloss.

Leicht sanken seine Stiefel in den Sand, doch das Wasser schwappte um sie herum, ohne sie zu berühren. Im Schaum, der auf den Steinchen liegen blieb, lagen ein paar Muschelschalen.

Donur hob den Blick zum Horizont, dann schloss er die Augen. Er räusperte sich und begann damit, leise vor sich hin zu summen, um seine Stimme wieder daran zu gewöhnen, Töne zu erzeugen.

Dann schickte er die Worte laut über die Wasserfläche vor sich, die er vor so langer Zeit auswendig gelernt hatte:

Schaumgeborener!

Mutterloser!

Vaterloser!

Kalt im Meer,

kalt am Tag.

Kalt in der Nacht,

kalt an Land.

Blau Deine Haut,

blau Dein Geist.

Du jagst den Fisch,

Du greifst den Vogel.

Ich rufe Dich!

Ich rufe Dich beim Pakt,

den wir geschlossen!

Ich rufe Dich bei Deinem Namen

Mahawaj!

Mahawaj,

ich rufe Dich!

Komm herbei und erfülle Deinen Pakt!

Magister Donur spürte der Magie nach, die durch seinen Körper in die Außenwelt geflossen war. Auch wenn er sie nicht sehen konnte, wusste er, dass sie nun die Wirklichkeit gebeugt und er mit ihrer Hilfe ein altes und mächtiges Wesen gerufen hatte. Ein Wesen, dass einst aus Magie und etwas anderem geformt worden war.

Er öffnete die Augen und wieder war da das Meer, der Himmel, der Strand. Das Blut in seinen Ohren rauschte wie die Gischt. Doch ewas hatte sich verändert:

Erst sah es aus wie ein wenig Treibgut, dass von den Wellen ans Ufer gespült wird. Doch es wurde größer und tauchte langsam aus den Fluten auf. Es handelte sich um eine Dornenkrone, wie sie sonst nur der gequälte Gott auf seinem Haupt trug. Allerdings war das, was hier vor Magister Donur erschien, kein Gott, sondern eher das Gegenteil davon:

Vor Donur stand Majawaj, der Nephilim. Der Körper des Dämonen war mindestens doppelt so groß wie der des Menschen, der vor ihm stand. Außerdem war Majawaj vollkommen nackt. Seine Haut leuchtete in einem kräftigen Blau und wären da nicht die langen, gelben Reißzähne in seinem Mund gewesen, man hätte Mahajaw fast schön nennen können mit seinem geraden Wuchs und den strohblonden Haaren unter der Krone.

Mensch und Nephilim sahen sich viele Atemzüge lang stumm an. Magister Donur bewegte sich als erster und er verbeugte sich langsam, bevor er das Schweigen brach.

,,Ich danke Dir für Dein Erscheinen, Mahawaj!“

Das Haifischgrinsen des Dämons wurde breiter. Dann speichelte er durch die Lücken seiner Zähne ebenfalls eine Begrüßung:

,,Auch ich grüße Dich, Mensch! Ich bin gekommen um unseres Paktes und um meines Namens Willen!“

Donur fiel in den rituellen Austausch ein:

,,Mir ist bewusst, dass so ein Ruf für einen wie Dich sehr schmerzhaft sein kann und ich bitte Dich deswegen um Verzeihung. Ich hätte Dich nicht gerufen, wenn es nicht wichtig wäre.“

Der Nephilim neigte den Kopf und wackelte leicht mit der Dornenkrone, als wolle er damit ausdrücken, dass ihm Schmerzen nicht allzu viel ausmachten.

Donur sprach weiter. Er sprach laut und deutlich, wobei er sich bemühte, jede Silbe ordentlich zu betonen. Jedes seiner Wörter hatte er sich vorher gründlich überlegt, denn er durfte jetzt keinen einzigen Fehler machen. Er fuhr fort:

,,Ich möchte den Gefallen einfordern, den Du mir schuldest.“ Mahawaj schaute ihn nur ruhig an. Seine Augen waren wie aus Obsidian.

Er nickte.

,,Dann sprich Deinen Wunsch aus!“ sagte der Nephilim. Eine Möwe schrie durchdringend. Das Meer rauschte.

Magister Donur nickte und holte Luft. Dann sprach er aus, was ihm so lange das Herz stocken ließ:

,,Ich verlange, dass Du jemanden für mich ausfindig machst. Einen Menschen.“ er schluckte ,,Eine Frau.“

Mahawaj sagte kein Wort. Das Meer umspielte seine Hüften. Donur fuhr fort:

,,Sie heißt Meleen und hat das zweite Lebensjahrzehnt schon überschritten. Sie ist …“ er geriet kurz ins Stottern, als er sich selber verbesserte ,,… sie war eine Adeption des Ordens der Heilung.“ Nur mit Mühe konnte Donur ein Überschlagen seiner Stimme verhindern, als er hinzufügte:

,,Ich weiß nicht, ob sie noch lebt.“

Mahawaj schaute den Magier an. Eine Krabbe stolzierte über den Sand. Dann nickte er langsam.

,,Wenn das Dein Wunsch ist, werde ich diese Menschenfrau für Dich finden! Woran aber werde ich sie erkennen?“

Donur hatte diese Frage natürlich vorausgesehen. Er griff zögerlich in eine Tasche seiner Robe und holte eine Strähne braunen Haars heraus. Er tat ein paar Schritte in Richtung des Dämons, streckte die Hand aus und ließ sie fallen. Die Strähne segelte für einen kurzen Moment in er Luft, wurde von einem kleinen Windhauch hochgehoben, dann hielt der Nephilim sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Er hatte sie so schnell ergriffen, dass Donur die Bewegung überhaupt nicht bemerkt hatte. Vielleicht hatte Mahawaj sich auch gar nicht bewegt. Vielleicht hatte er die Strähne auch einfach nur in seine Hand gedacht.

Mahawaj schnippte mit den Fingern und die Haarsträhne verschwand. Dann sah er den Menschen vor sich wieder mit schwarzen Augen an und seine Stimme war wie das Grollen der Brandung:

,,Ich vergesse Dir Deine Hilfe nicht, als Du damals den Kristall zerbrochen hast! Andere hätten sicher versucht, meinen Gefallen in klingende Münze zu verwandeln oder sie hätten niedere Gelüste damit zu befriedigen gesucht. Doch Du bist anders. Ich erkenne Deinen Wunsch. Deswegen frage ich Dich: Wenn ich diese Frau gefunden habe – ob tot oder lebendig –, soll ich dann noch etwas tun? Soll ich ihr eine Nachricht überbringen? Bedenke: Ich würde dies aus freien Stücken tun und nicht aus Zwang.“

Donur fühlte seinen Hals enger werden, seine Gedanken und sein Herz wollten für einen kurzen Moment zu Meleen wandern, doch er zwang sie zurück ans Meer, zu dem Magier und dem Dämon. Erst schüttelte Donur den Kopf, dann nickte er. Seine Stimme war ein Krächzen:

,,Sag ihr … sag ihr, dass es mir leid tut!“

Mahawaj der Nephilim zeigte wieder sein Haifischgrinsen. Dann verneigte er sich beinahe spöttisch und auf der Oberfläche des Meeres war nur noch ein leichtes Kräuseln zu sehen.

Donur war wieder alleine. Hastig machte er sich auf den Weg zu seinem Lager. Es mussten Stunden vergangen sein, denn bald würde die Dunkelheit hereinbrechen und mit ihr würde der Nebel kommen. Dessen Summen war für jeden Magier nur schwer zu ertragen. Donur hoffte, dass das Abbrechen des Lagers und der Weg zurück zu den Klippenbergen ihn ablenken würde. Ablenken von einem Gedanken, der begann, sich in seinem Kopf festzusetzen. Ein Gedanke, der eigentlich schon seit Wochen unter seiner Schädeledecke wohnte und nun begann, sich häuslich zwischen seinen Ohren einzurichten. Der Gedanke war eigentlich eine Frage, nämlich die Frage, ob das Einlösen dieses Gefallens nicht ein großer Fehler gewesen war.

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