Es war ein sonniger und warmer Tag. Es ging auf Mittag zu und langsam heizte sich der Wald auf.
Klaus war am frühen Morgen von seiner Herberge in Pennende aufgebrochen und wollte am Nachmittag in Höpperke ankommen. Sein Gepäck würde ihn dort erwarten, ebenso wie eine Dusche und ein zünftiges Abendessen in der „Wanderklause“.
Doch bis dort war es noch gutes Stück Weg und es wurde wärmer und wärmer. Ob es am Wetter lag oder an den Bieren gestern oder an den Gewürzen im Essen – Klaus hatte heute großen Durst. Seine Feldflasche, die er an seinem Rucksack befestigt hatte, war schon leer. Sicher würde er es auch ohne zu Trinken bis zu seinem Ziel schaffen – zumal auf dem Wege noch mehrere Bauernhöfe lagen, wo er zur Not um Wasser bitten konnte – aber es war doch unangenehm.
Der Wald schützte ihn vor der Sonne und er lief weiter den Wanderweg entlang. Links von ihm ging es steil bergauf und rechts vom Weg ging es steil bergab. Fichten krallen sich hier in den Waldboden und ab und an wuchsen hier auch Eichen. Sie standen so stolz und gerade da, es sah aus, als wollten sie sich gegen die Flut aus Erde und Blättern stemmen, die langsam aber sicher den Hügel hinab kroch.
Für die Schönheiten des Waldes hatte Klaus allerdings keinen Sinn mehr. Er hatte Durst. Der Speichel in seinem Mund wurde zähflüssig und ein Gedanke, ein starker und mächtiger Gedanke machte sich in seinem Kopf breit:
Wasser!
Erst nach ein paar Minuten bemerkte Klaus, dass er schweißüberströmt war. Er war außer Atem, rang nach Luft.
Er blieb stehen.
„Reiß Dich zusammen!“ ermahnte er sich „Du darfst Dich nicht verausgaben! Dadurch verlierst Du nur noch mehr Flüssigkeit! Geh einfach ruhig weiter und bald kommt ein Haus oder eine Ortschaft und dort bekommst Du etwas zu Trinken! Herrgott, Klaus! Du bist hier nicht in der Wüste!“
Dann nahm er seinen Rucksack ab, stellte ihn auf den Weg und schnallte die Feldflasche ab. Ein paar letzte Tropfen Wasser fanden ihren Weg in seinen Mund.
Das Pochen seines Herzens ließ nach und Klaus stieg der leicht modrige Geruch des Waldbodens in die Nase. Er hörte einen leichten Wind in den Bäumen und ein paar Vogelstimmen – und ein leises Plätschern.
Wasser!
Klaus verstaute seine Feldflasche wieder und setzte den Rucksack auf. Das Geräusch kam von unten, also verließ er den Wanderweg und machte sich vorsichtig an den Abstieg.
Zum Glück war der der Waldboden hier einigermaßen trocken und die Bäume und Äste gaben ihm sicheren Halt. Er wollte nicht voller Gier hier herunterstürzen und sich auch noch den Hals brechen, ganz alleine im Wald.
Das Plätschern wurde lauter, aber er konnte den Bach noch nicht sehen. Irgendwann – Klaus konnte den Wanderweg oben gerade noch so erkennen – flachte das Gelände ein wenig ab. Auf seiner linken Seite erhob sich aber noch ein kleiner Ausläufer des Hügel und von dort kam das Geräusch.
Klaus erklomm die Erhebung und blieb auf dem Kamm stehen:
Direkt unter ihm floss ein kleiner Bach den Hügel hinunter. Es war ein klarer und reiner Bach und sein Plätschern klang fröhlich und an seinen Ufern wuchsen gelbe und weiße Blumen. Blumen, die Klaus seltsam fremd vorkamen.
Seine trockene Kehle meldete sich und er ging die letzten Meter hinunter zum Wasser. Am Ufer des Baches kniete er sich hin. So herrlich lockte das Wasser! Wasser! Klares, kühles Wasser! Obwohl Klaus noch gar nicht getrunken hatte, spürte er schon die köstliche Erfrischung in seinem Mund!
Er konnte es kaum erwarten, aber trotzdem beugte er sich nicht hinunter noch schöpfte er Wasser mit der hohlen Hand. Es schien ihm, als würde er damit etwas Falsches tun. Als würde er eine Art Frevel begehen. Als würde er den Bach mit seiner Anwesenheit irgendwie entweihen. Aber die Hitze! Der Durst!
Da hörte sich Klaus plötzlich selbst etwas sagen. Seine Stimme war rau und klang seltsam laut hier im Wald.
„Ich habe schrecklichen Durst. Lieber Bach, bitte verzeih mir, wenn ich von Dir trinke. Ich nehme auch nicht viel!“
Klaus schüttelte den Kopf. Was redete er da! Hatte er etwa schon einen Sonnenstich?
Kurz entschlossen beugte er sich vor. Doch bevor seine Lippen das Wasser berühren konnten, sah er plötzlich in ein paar blaugrüner Augen. Die Augen schauten ihm aus dem Wasser entgegen. Dann erkannte er ein wunderschönes Mädchengesicht: Feine, durchsichtige Züge, volle Lippen, die sich zu einem Lächeln verzogen.
Dann fühlte er einen kalten Kuss auf seinem Mund und es war ihm, als habe er noch nie in seinem Leben Durst gehabt und als würde er auch niemals welchen erleiden müssen.
Dann war alles vorbei. Klaus rappelte sich auf und lief so schnell er konnte den Hügel hinauf zum Wanderweg.
Hinter ihm plätscherte weiter der Bach.
Es klang, als würde jemand leise lachen.