Verdammte Scheiße! Verdammte Scheiße! Verdammte Scheißescheißescheiße!
Agok bekam einen Stoß von einem der Krieger neben sich, aber der massige Körper des Mannes hinter ihn hielt ihn zum Glück noch aufrecht. Er hing fest, eingekeilt zwischen den eigenen Männern. Er packte seinen treuen Streitkolben, die große Freiheit, mit beiden Händen und versuchte, den Kämpfer vor sich damit wegzudrücken, um ein ganz klein wenig Raum zu gewinnen. Dabei fluchte er laut vor sich hin.
Verdammte Scheiße!
Agoks Flüche waren nicht besonders gut ausgearbeitet, aber dafür muss man wohl Verständnis aufbringen, wenn man bedenkt, dass er zur Zeit unter dem Banner von Hagloth diente und einer der nichtsnutzigen Neffen des Grafen von Hagloth ihn und seine Kameraden geradewegs in eine Falle geführt hatte:
Entgegen aller Vernunft waren sie über diese eine schmale Brücke auf die Burg von Tiefenfels zugestürmt, nur weil diese dämliche Balliste es geschafft hatte, dessen äußeres Tor zu beschädigen. Der Sturm der Männer unter dem Hammer von Hagloth hatte ein jähes Ende gefunden, als plötzlich von den Seiten her Feinde aufgetaucht waren und diese sie in die Mangel genommen hatten. Diese Feinde waren über und über gepanzert und es handelte sich offensichtlich um ausgesuchte, erfahrene Krieger. In diesem Moment war die Falle zugeschnappt und Herr Hirnlos von Hagloth war einfach mit einem lauten ,,Hurra!“ hineingestürmt. Seine Männer und die Söldner, zu denen Agok gehörte, waren ihm notgedrungen gefolgt.
Der Kamerad links neben Agok schrie auf, als ein Armbrustbolzen in seiner Kehle erschien. Sie standen jetzt alle so dicht gedrängt, dass der Getroffene nicht zu Boden gehen konnte. Eingequetscht zwischen seinen Kameraden zappelte und gurgelte er noch ein wenig herum. Irgendwann hörte er damit auf und wurde still. Seine und die Schultern der Männer um ihn herum waren rot von Blut.
Agok kamen gerade ernsthafte Zweifel, ob der Doppelsold von Silberlingen am Tag ein solches Ende wert war.
Wenn nur diese Schwäche nicht wäre! Agok hatte schon seit zwei Wochen nichts zu sich nehmen können, weil ihm die Gelegenheit dazu gefehlt hatte. Material zum konsumieren gab es in einem Heerlager zwar immer irgendwo, aber Agok musste höllisch aufpassen, dass niemand von seinem kleinen Laster erfuhr. Also hatte er mitten im Krieg auch noch mit Schwindel und gelegentlichem Schüttelfrost zu tun, was seine Überlebenschancen nicht gerade erhöhte.
Vor ihnen gab es einen lauten Knall. Etwa Magie? Doch bevor Agok sich über diese Frage ernsthafte Gedanken machen konnte, entstand eine Art Welle in der Menschenmenge und er verlor den Boden unter den Füßen. Immerhin schützte ihn sein Harnisch davor, dass ihm der Brustkorb eingedrückt wurde – der Leichtgerüstete hinter ihm hatte weniger Glück, wie Agok es am laut vernehmlichen Knacken der Knochen hören könnte.
Agok drückte die große Freiheit an sich und ließ sich treiben. Er hätte, schwach wie er war, gegen den Strom aus Leibern, Stahl und Leder eh nichts ausrichten können. Plötzlich stieß Agok mit dem Rücken gegen etwas Hartes und dann drehte sich um ihn herum alles. Im Fallen versuchte er, sich so gut wie möglich zu entspannen. Nur seine Waffe hielt er fest wie eine Geliebte.
Der Aufprall war hart und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Agok bäumte sich auf, denn sie wollte nicht mehr zurück in sein Inneres. Zum ersten Mal an diesem Tag keimte Panik in ihm auf. Er bekam keine Luft mehr! Er konnte nicht mehr atmen! Verwirrte rappelte er sich auf. Verzweifelt versuchte er, seine Lungen wieder zu füllen, aber irgendwie schien sich seine Atmung verkrampft zu haben. Agok ließ jetzt den Streitkolben doch fallen und hob die Arme weit über seinen Kopf.
Langsam! Mach langsam!
Ob es daran lag, dass sich Agok ein wenig beruhigte oder ob die Streckung der Arme und Schultern den Weg freimachte – endlich gelang wieder etwas Luft ins Agoks Lungen. Laut stöhnend so er etwas davon ein. Langsam, aber sicher kam er wieder zu sich. Zuerst bückte er sich nach der großen Freiheit, wobei der vor Schwindel beinahe umgekippt wäre. Dann erst sah er sich um.
Glücklicherweise wurde er von den Bögen der Brücke über sich geschützt, denn rings um ihn herum schlugen jetzt die Körper seiner Kameraden ein. Die meisten waren nicht so widerstandsfähig wie er, denn sie zuckten nur kurz auf dem steinernen Erdboden und blieben dann bewegungslos liegen. Agok konnte förmlich sehen, wie das Leben aus ihnen heraus floss. Die Feinde drängten seine Leute also oben von der Brücke.
Das Atmen gelang Agok schon etwas besser. Verdammte Scheiße! Er brauchte jetzt etwas! Wenigstens ein bisschen! Er brauchte ein wenig neue Kraft und einen klaren Verstand!
Er schaute sich seine im wahrsten Sinne des Wortes gefallenen Kameraden etwas näher an, in der Hoffnung, bei ihnen etwas von dem Stoff zu finden, den er so dringend brauchte. Doch bei denen war nichts mehr zu holen. Endlich erregte eine Bewegung Agoks Aufmerksamkeit.
Der Mann war jung und trug den Wappenrock der Hagloth. Seine Rüstung war sicher teuer gewesen, bevor Schläge und Steine sie vollkommen zerbeult hatten. Das hübsche, edle Gesicht war blutverschmiert, ebenso wie der feine Zobelpelz auf seinen Schultern.
Agok lächelte. Es war schon eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der adelige Idiot, der ihn in diese Lage gebracht hatte, ihm nun auch aus ihr heraushelfen würde.
Mit nur einem Schritt (war es wirklich ein Schritt? Hatte sich Agok wirklich bewegt?) war er über dem jungen Mann, dessen geöffnete Augen ihn anstarrten. Agoks Mund verzog sich in einem Grinsen voll irrer Vorfreude, als er sich hinunterbeugte, dass Kinn des Adeligen mit der einen und den Zobelpelz mit der anderen Hand ergriff. Mit kraftvollem Schwung entblößte der Söldner den Hals des jungen Mannes und versenkte seine Zähne in dessen weiches Fleisch. Agok schloss die Augen und während der Namenlose unter ihm zappelte und hilflos um sich schlug, suchte er in seinem Geist nach der rot pulsierenden Quelle seines Opfers. Agoks Körper trank das heiße, salzige Blut und sein Geist trank das Leben selbst.
Der junge Hagloth hörte auf, sich zu bewegen. Agok richtete sich auf und schaute auf den blassen Leichnam unter sich. Dann wappnete er sich davor, was unweigerlich kommen würde – und es kam:
Wellen von Übelkeit überschwemmten Agok. Sein Magen krampfte sich zusammen und Agok fiel auf die Knie. Zum Glück fiel er ja weich. Der Ekel schüttelte ihn und er musste sich zusammenreißen, um das Blut in seinem Magen zu halten.
Behalt es drinnen! Behalt es drinnen! Behalt es drinnen!
Dieser Satz war sein Gebet und auch wenn es von größter Schlichtheit war, so erfüllte es seinen Zweck. Das Blut blieb in seinem Bauch und langsam begann in Agok, das fremde Leben zu blühen. Etwas in ihm starb, um etwas Neuem, fremden Platz zu machen.
Dann wuchs in Agok die Kraft, die Macht, die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Agok.
Sein Gesichtsfeld verwischte rot, als der Stein der Brückenpfeiler an ihm vorbei zog. Mit einem gewaltigen Satz war der Krieger über der Brüstung und landete inmitten der Feinde, welche die Angreifer nun schon fast zur Hälfte zurückgedrängt hatte. Agok hörte jeden Muskel in seinem Körper singen. Seine Sehnen waren hart wie Stahl. Die Feinde schauten ihn für einen Moment ungläubig an und erst als die ersten von ihnen von der großen Freiheit niedergemäht wurden, verstanden die anderen, was geschah.
Agoks Streitkolben hielt reiche Ernte. Er unterlief jede Verteidigung, zerschmetterte Panzerplatten und Schilder. Schwerter und Schäfte knickten wie Strohhalme und ihre Träger starben so schnell, dass sich ihnen erst am Boden liegend der Darm öffnete und seinen Inhalt ein letztes Mal entließ. Schweiß, Blut und Kot ersetzte die Luft über dem Schlachtfeld, während Agok sich unaufhaltsam zum Tor vorarbeitete.
Der Kampf dauerte Sekunden und Jahre, war zeitlos, ewig und unglaublich schnell vorbei, denn mit einem Mal öffneten sich die Reihen der Feinde und Agok stand vor einem riesigen Geschöpf in einer mattschwarzen Rüstung. Das Wesen stand da, von seinen Kameraden in respektvollem Abstand umgeben, in seinen Pranken einen gewaltigen Kriegshammer.
Ein Troll! Sie haben wirklich einen Troll!
Das war der Gedanke, der sich in Agoks Kopf bildete, aber als er fertig war, fand er keinerlei Ausweg. Alles in Agok war in rotes Feuer gehüllt, also kroch sich der Gedanke in einer Ecke von Agoks Geist zusammen und starb dort einsam.
Noch bevor der Troll seine Waffe heben konnte, war Agok schon bei ihm. Der Krieger schrie. Er schrie ohne Pause, schrie wie die unzähligen Menschen, die während es Übergangs verbrannt waren. In diesem Moment war Agok der Aufschrei der Verbrannten.
Er sprang und traf den Troll mit beiden Füßen mitten in die Brust. Der Schwung warf den Riesen nach hinten. Von seinem seinem eigenen Gewicht und dem seiner Rüstung nach unten gezogen, prallte er auf dem Pflaster vor dem Tor auf und blieb hilflos liegen.
Agok verlor keine Zeit. Er hob seinen Streitkolben mit beiden Händen hoch und ließ ihn auf den Helm des Trolls niedersausen.
Schlag zu!
Schlag zu!
Schlag zu!
Schlag zu!
Schlag zu!
Schlag zu!
Schlag zu!
Schlag zu!
Schlag zu!
Irgendwann bemerkte selbst Agok, dass von dem Helm und dem Kopf des Trolls nichts mehr übrig war, als eine verbeulte Masse aus Metall, Blut und Gehirn. An der großen Freiheit klebten Haare, wie Agok aus dem Augenwinkel sah. Er nahm dieses eine Detail in einer Klarheit auf, die vollkommen war: Lange, dünne Haare, teilweise ergraut. Sie waren mit einer rötlichen Masse verschmiert und wurden mit ihr zusammen in die Ecken des Kolbens gedrückt. Kleine Knochensplitter garnierten dieses Küchlein der Gewalt.
Agok stand auf dem Leichnam des Trollkriegers. Freund wie Feind wichen vor ihm zurück, denn er war wie ein Gott des Zorns aus alter Zeit, wie einer der wütenden Propheten, die einst der Vater des Gequälten in die Welt geschickt hatte, um das Kommen des Übergangs zu verkünden.
Die Waffe gen Himmel gereckt, brüllte Agok vor Freude.
Er hatte sich noch nie so lebendig gefühlt.
Der Rest der Festung fiel, noch bevor der Tag vorüber war. Man holte die letzten Verteidiger aus ihren Verstecken und hackte sie im Innenhof in Stück. Frauen schrieen, Männer ebenso und sie taten dies aus vielerlei Gründen.
Agok half mit, den Zwinger zu sichern und nach einer gewissen Zeit trauten sich die ersten, ihm anerkennend auf die Schulter zu klopfen – vielleicht ab dem Zeitpunkt, an dem er damit aufhörte, die Zähne wie ein wütender Wolf zu blecken.
Der junge von Hagloth (Agok hörte immer wieder seinen Namen, vergaß ihn aber sofort wieder) wurde kurz betrauert. Sein Mut, an der Spitze seiner Leute den Troll vor dem Tor anzugreifen, wurde von allen Seien anerkannt. Den eigentlichen Ruhm strich aber ein anderer junger Adeliger ein, der direkt hinter Agok das Tor erobert hatte. Dieser Bursche war ebenso jung wie der tote Hagloth, aber unter seinen braunen Haaren blitzten zwei sehr kluge Augen. Das war ungewöhnlich für einen Adeligen, fand Agok. Auch das Banner, welches der junge Mann eigenhändig über dem Tor aufgepflanzt hatte, war ungewöhnlich: Während andere Häuser Hämmer, Wölfe, Adler, Bären und allerlei anderes Kriegerisches im Wappen führten, hatte sich dieses Haus für ein paar dicke Weizenähren entschieden. Obwohl es noch andere aussichtsreiche Kandidaten für dieses Lehen gab, entscheid sich der Graf von Hagloth spontan dazu, die Festung Tiefenfels diesem jungen, tapferen Mann zu verleihen.
Bald würde die Ährenfahne über Tiefenfels flatterten.
Agok hingegen würde weiterziehen.
Schreibe einen Kommentar