Karriereplanung

Mein Name ist Friedrich Alexander Cornelius Hans Schuster und ich diene im Range eines Feldwebels als Subcommandantus in der 3. Stampferkompanie des 1. Garderegimentes der V. Legion seiner heiligen Majestät und als ich meine Augen öffne, beginnt der letzte Tag meines Fronturlaubes.  

Ich liege in meiner Kammer und es muss früher Vormittag sein, denn das Licht, dass durch das Fenster hineinfällt, ist warm. Ich lasse meinen Blick durch die Kammer schweifen. Viel ist hier nicht zu sehen. Dem Sohn eines Schusters steht auch nicht viel zu: 

Das Bett auf dem ich liege, eine Kommode mit einer Schüssel und einem Waschkrug darauf sowie ein grob gezimmerter Schrank. Langsam stehe ich auf und gehe zum Fenster. Die Sonne steht so hoch am Himmel, es muss fast Mittag sein. Habe ich so lange geschlafen?  

Die Straße draußen liegt ganz ruhig da. Das Sonnenlicht taucht die Ziegel der Häuser in gelbe Farbe. Die Leinen zwischen den Wohnungen in den oberen Stockwerken sind voller weißer Wäsche.  

Waschtag.  

Hier und da sind einzelne Ziegel aus den Mauern gebrochen und auch das Straßenpflaster hat Löcher.  

Der Krieg dauert nun schon zu lange. Zu viele Männer sind fort und werden nicht wieder heimkehren.  

Ich wasche mich und hole meine Uniform aus dem Schrank. Dabei entdecke ich meinen alten Kittel und streiche kurz über den abgeschabten Stoff. Dann ziehe ich mich ordentlich an.  

Der letzte Tag.  

Ich finde Vater in der Werkstatt. Er sitzt gebeugt über einem paar Stiefel und näht. Teures Leder, gute Stiefel fällt mir sofort auf. Vater entdeckt mich und blinzelt mich durch seine dicken Brillengläser freundlich an. Er ist so klein geworden, seitdem Mutter tot ist. Früher war Vater ein Riese gewesen, stark und laut und fröhlich – die Leute sagten immer, ich käme nach ihm – doch jetzt ist er ein gebeugtes, faltiges Männlein.  

Ich nicke Vater zu.  

„Es ist spät.“ stelle ich fest.  

„Ja,“ er nickt jetzt auch. Es sieht es wie wenn ein Kinderspielzeug nickt „ich wollte Dich nicht wecken. Hast so friedlich geschlafen. Wollte Dich nicht wecken an Deinem letzten Tag in der Heimat …“ sein Lächeln gefriert und ich sehe seine Augen feucht werden.  

Mit einem Schritt bin ich bei ihm und lege ihm meine Hand auf die Schulter. Er tätschelt sie.

„Was soll nur werden? Was soll nur werden?“ murmelt er leise.

Was soll nur werden?  

Was bringt die Zukunft?  

„Wo sehen sie sich in fünf Jahren?“  

Diese Frage des Karriereoffiziers von vor dem Krieg kommt mir in den Sinn. Er war auch ein kleiner dünner Mann gewesen, wie er da vor mir saß in seiner Uniform mit den Abzeichen.  

„Herr Stabsgefreiter Schuster – wo sehen sie sich in fünf Jahren?“  

Auf diese Frage hatte ich keine Antwort gehabt. Wer weiß, was die Zukunft bringt?  

So ein Karriereoffizier hat sicher einen Plan für seine Zukunft. Seine Karriere. Den Hauptmann innerhalb von fünf Jahren. Dann sich auf eine Stelle beim Stab bewerben. Silber auf der Schulter.  

Als der Krieg dann ausbrach und alle sagten, der wäre sicher schnell vorbei, ließ er sich in eine Infanterielegion versetzen. Er dachte wohl, ein bisschen Kampferfahrung würde seiner Karriere gut tun. Doch die wurde bei einem Angriff seiner Kompanie auf eine Geschützstellung der Burkesen jäh beendet. Da die Soldaten der Kompanie alle tot waren, sind wir mit unserem Stampfern über sie hinweg, als wir unseren Angriff auf die Stellung führten. Durch eine der Bodenluken sah ich sein bleiches Gesicht unter dem Stahlhelm, bevor der schwere Fuß des Stampfers es wie eine stählerne Grabplatte für immer verdeckte.  

Eine Träne rinnt Vaters Wange hinab und ich tue so, als ich sie nicht bemerke.  „Das wird schon.“ antworte ich ebenso leise.  

„Alles wird gut.“  

Ich lasse ihn alleine in der Werkstatt und gehe in die Küche, um etwas zu essen. Dort steht auch mein Seesack.  

Er ist bereits gepackt.