Die Bestie (Fragment)

Prolog

Eigentlich hatte er immer zu allem ,,Nein!‘’ gesagt. Es war ihm egal gewesen, wie oft und wie eindringlich mal ,,Ja!‘’ zu ihm gesagt hatte, seine Antwort war stets ,,Nein!‘’ gewesen.
Bis zu dem einen Tag, an dem er dann doch einmal ,,Ja!‘’ gesagt hatte. Dieses ,,Ja!‘’ war vielleicht das erste in seinem Leben und es war auch sicher das größte, dass er jemals sagen würde.
Er hatte mit voller Inbrunst gesagt.

Voller Liebe.

Doch dieses ,,Ja!‘’ war dann das Schlimmste gewesen, was er je hätte tun können, denn ausgerechnet dieses eine, ganz spezielle ,,Ja!‘’ war streng verboten.

Also hatten sie ihn bestraft: Die Knochen zerschlagen, hatte er zusehen müssen, wie das Liebste vor seinen Augen in tausend Fetzen gerissen wurde. Danach hatten sie ihn die Gestalt gezwungen, in der er nun leben musste.

So schön die Welt

Er trat aus dem tiefen Wald und betrat die große Wiese an dessen Rand. Ein frischer Wind strich über das Gras und die dunklen Wolken, die er über den Horizont trieb, ließen ab und zu einen herrlichen Strahl der Sonne hindurch, welche diese Welt beschien.

Da niemand seinen wahren Namen aussprach, hatte man ihm einen neuen gegeben. Er klang ein wenig so, wie wenn ein Knochen bricht:

K’rryk.

K’rryk schnupperte, schaute sich um und ließ die Eindrücke des Ortes auf sich wirken:
Die sich ständig ändernden Farben, die Gerüche von Gras, Blüten und ein wenig von dem lebendem Vieh, dass knapp außer Sichtweite auf seiner Weide stand.

Langsam setzte sich die Bestie in Bewegung. Tatze vor Tatze setzend, schnürte K’rryk zu der großen Buche, die inmitten der schönen Wiese stand. Während er sich auf den Baum zubewegte, schaute sich K’rryk immer wieder um, drehten sich seine großen Ohren auf dem wuchtigen Schädel, der auch gut auf den Körper eines Bären oder eines riesigen Wolfes aus alten Märchen gepasst hätte.

Ein Jäger kann nie aufmerksam genug sein!

Doch K’rryk erreichte sein Ziel ohne jede Störung. Er suchte sich einen Platz zwischen den sich über den Boden würmelnden Wurtzeln und legte sich hin. Sein Bauch war voller Fleisch und er wollte nun ruhen. Noch einmal ließ er seinen Blick schweifen. Diesmal war er der große, dunkle Wald, der sich dem Betrachter präsentierte. Hier hatte die Bestie gejagt und gefressen und nun lösten sich dort die Tiere wieder aus angstvoller Starre.

Eine wunderschöne Welt!

K’rryk hasste sie aus ganzem Herzen, denn sie war sein Gefängnis.
Doch heute war er fast zufrieden, denn er hatte etwas, was er seit Äonen nicht mehr gehabt hatte:
Er hatte einen Plan.

Er hatte Hoffnung.

Jeder große Plan beginnt einmal klein

Gerne hätte K’rryk ein wenig geschlafen, aber so etwas wie er schlief nun mal nicht.
Schlief niemals.

Also wartete er, bis sein Magen das gerade verschlungene Reh zerdrückte und weiter in den Darm schob. Dort würde es dann verbrennen. Es fiel ihm schwer zu denken, nicht nur mit einem vollen Bauch. Ihm war immer, als wären seine Gedanken geisterhafte Spinnweben, welche, kaum hatte er einen davon erhascht, zwischen seinen Klauen verflogen wie Nebel. Doch wenn er sich ganz besonders anstrengte, konnte er sie greifen und in eine wage Ordnung bringen.

So war sein Plan entstanden, nachdem er diese eine Höhle nicht weit von diesem Baum entfernt entdeckt hatte. Diese Höhle, an dessen Ende vollkommen unscheinbar und bisher von niemandem entdeckt ein kleiner Schatz auf ihn wartete, nämlich ein Stück perfekter Dunkelheit.

Wie dieses Ding in diese frohe, helle Welt gekommen war, wusste K’rryk nicht. Vielleicht war das ein verlorener Fetzen vom Mantel des Teufels, vielleicht war er aber auch einfach nur eine Antwort auf all das Wachsen und Gedeihen, die schönen Sonnentage und die leichten Sommerregen. Vielleicht brauchte das alles hier einen Ausgleich.

Da K’rryk war, was er war, wusste er natürlich, was man mit so einem kleinen Stück perfekter Dunkelheit so alles anfangen konnte und so wurde der erste Baustein seines großen Plans.

Erinnerungen

Die Seelen schreien vor Schmerz, die Städte brennen. Engel fallen mit zerfetzten Flügeln vom Himmel herab. Es regnet Blut. Er tritt mitten ins Feuer, die Glut brüllt und spuckt Funken. Er trägt einen anderen Namen, nicht diese schwache Krücke, die sich wie ein Geräusch anhört.

Noch trägt er seinen Namen. Er trägt den Namen, den sie ihm später stehlen werden.

Doch jetzt steht er da in aller Macht und Herrlichkeit und um ihn herum tobt die Schlacht. Aus den Spalten der Erde quellen die Truppen der Finsternis: Gehörnte Teufel und ihre Verbündeten, die Dämonen mit ihren Flügeln und der Kraft der Elemente. Von oben stürzen sich die Heerscharen des Himmels auf ihren Feind.

Sie alle schlagen die größte und letzte aller Schlachten. Die Schlacht, die die Entscheidung bringen wird. Die Schlacht, die niemals enden wird. Die Schlacht, die ewig währt.

Alles, was sterblich ist, wird hier zerquetscht und zermahlen. Alles, was unsterblich ist, wird zerrissen und erschlagen.

Die Toten häufen sich von Hügeln zu Bergen.

Er genießt es.

Das ist sein Zuhause.