Aus dem Archiv: Gsuffa

„Oans, Zwoa, Gsuffa!“
Die Welt war gelb, ganz seltsam gelb. Und verschwommen. Sie war gelb und verschwommen. Die Welt hatte einen Rand, einen runden Rand.
Er setzte den Maßkrug ab. Es wurde nicht viel besser. Und wieder: „Oans, Zwoa, Gsuffa!“
in gewaltiger Schlag streckte ihn auf den Holztisch nieder. Als er sich wieder aufgerappelt hatte, sah er in ein Paar blauer, rotgeäderter Augen. Sie blickten ihn glasig an. Unter den Augen prangte eine kolossale blaue Nase, darunter ein von grauen Borsten durchzogener Schnäuzer. Dort hingen ein paar Remoulade-Fäden.
Seht‘s!“ dröhnte es unter dem Schnäuzer hervor, dass die Remouladen-Fäden zitterten. „Seht‘s! Er trinkt totsechlich mit! Ist einer von uns!“
er Mann holte wieder aus und kurz bevor es „Wuuusch!“ machte, fiel ihm der Name des Schnauzbärtigen ein.
Maischelgruber. Oder so ähnlich.
Die Stirn landete halbwegs weich auf ein paar feuchten Bierdeckeln. Zum Glück hatte ihm dieser Neandertaler nicht den Kopf in einen der vielen Maßkrüge gerammt, die hier herumstanden. Er ließ seinen Krug los und hielt sich mit beiden Händen an der Tischkante fest.
Affelnosche“ sagte jemand „Affelnosche“.
Affelnosche?
,,un mir doch imma Affelnosche ins Glas!“
Apfelschorle! Sie taten ihm doch sonst immer Apfelschorle ins Glas! Er selbst hatte das vor sich hin genuschelt! Er selbst! Stolz über diese Erkenntnis durchflutete ihn und er richtete sich auf. Der Saal um ihn herum schwankte leicht. Tausend Münder sahen ihn an. Tausend Schnauzbärte.
Es roch nach Bier, Schweiß und Leder.
Neben ihm hockte noch so ein vierschrötiges Monster. Bis auf die Nase sah er genau so aus wie Meschlgruber.
Der war irgend ein Forsthauptwachtmeister oder so. Irgendwas mit Holz.
Seine Pranke haute ihm zwar nicht auf Hinterkopf, traf ihn aber zwischen die Schulterblätter und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er prustete und alle lachten.
Er konnte nur noch einmal „Affelnosche“ sagen, da kam eine Frau in einer weiß-blauen Schürze und mit einem ganzen Kranz von Maßkrügen. Vollen Maßkrügen.
Einer oder zwei oder drei standen kurz darauf vor ihm und die Frau sagte etwas zu ihm. Was die Frau sprach, konnte er nicht verstehen, aber es klang nett und irgendwie mütterlich.
Mütterlich. Das passte zu ihrem wirklich gewaltigen Busen, der es sich in einem ausladenden Dekolleté gemütlich machte. Wieder lachte alles.
Ihm schoss das Blut in den Kopf. Um von sich abzulenken, nahm er einen der Bierkrüge und trank hastig. In seinem Bauch gluckerte es. Der Holzamtswart oder wasweißich drosch währenddessen weiter lachend auf ihn ein.
Irgendwann wurde etwas gesungen und irgendwann lag sein Kopf zwischen den schweren Glasbausteinen von Bierkrügen. Dann zog man ihn nach oben und noch mehr von diesem ekligen Bier lief in seinen Mund.
Jeder einzelne Schluck wehrte sich dagegen, in den Magen heruntergedrückt zu werden und manch einer hüpfte in seinem Bauch auf und ab.
Warum hatten sie ihm keine Affelnosche gegeben? Wie sonst auch?
Er dachte an zu Hause, an seinen Garten. An die Blumen.

Das Haus, schön sauber. Das Badezimmer mit dem Klo. Die Toilette, sauber und einladend. Sonst ekelte er sich ja vor dem Klo, aber jetzt würde er am liebsten vor der Schüssel auf die Knie gehen und alles … alles … nicht dran denken!
Einfach nicht dran denken! Moschelgruber rief etwas und ein Tropfen Remoulade traf ihn auf die Wange.
Nicht dran denken.
Als plötzlich der penetrante Geruch einer gegrillten Schweinshaxe vor ihm aufstieg, gab es kein Halten mehr: Er stand auf, hielt sich an ledernen Schultern fest, stieß sich ab. Raus hier! Raus hier! Nur raus!
Auf halbem Weg kam ihm die Busenfrau entgegen. Er stolperte und fiel ihr in die Arme. Der Saal tobte.
Er roch ihren Schweiß und – ganz zart – die Reste eines Parfüms. Eine heiße Welle bahnte sich ihren Weg von unten durch seinen Schlund. Ein Melange von Bier und ätzender Säure spülte seinen Mund. Er hielt sich noch die Hand vor das Gesicht, aber das nützte natürlich nichts.
Es war seltsam befreiend.
Er ließ sich auf die Knie sinken und alles, alles kam aus ihm heraus: Das Bier, das Kraut, die Wurst, Murschelgruber und der Forstholzmann.
Er versaute sich seinen schönen Trachtenanzug, aber das war egal. Je mehr aus ihm herausspritzte, desto klarer wurde sein Kopf.
Er wusste Bescheid.
Er musste hier weg.
Er fasste einen Entschluss. Fest und unumstößlich: Er würde nach Brüssel gehen.
Egal, was Muschi dazu sagen würde!