2022-11-08

Dienstag, 08.11.2022 – Eine Menge Gefühle

Der Tag und die Nacht

Ganz gute Nacht. Viele, verrückte Träume.

Mir träumte, ich würde bei Lars übernachten (obwohl sein Traum-Haus überhaupt nicht so aussah wie das im echten Leben). Wir schliefen auf gegenüberliegenden Sofas so lange, bis uns heftige Bohrgeräusche weckten. Neben uns hatten noch andere Leute im Haus übernachtet – es handelte sich um entfernte Bekannte von Lars. Während der Hausherr sich im Bad frisch machte, putzte ich mir an einem Waschbecken im Flur die Zähne. Da betraten durch ein Fenster mehrere junge Männer das Haus. Sie wollten mit den Bekannten von Lars sprechen und ein paar Dinge klären. Ich verspürte Verwirrung, leicht agressive Vibes, aber auch den Wunsch nach Aufklärung. Die jungen Männer erzählten, sie seien am Abend zuvor in einem Club von eben jeden Bekannten angebaggert worden. Sie hätten auch einschlägige Videos geschickt bekommen. Ich meinte nur, dass sei sicher ein Scherz gewesen und der Hausherr sei noch im Bad. Eine komische Situation!

Später war die Welt zusammengebrochen und ich schlug mich zusammen mit meiner Partnerin und unserer gemeinsamen Tochter durch eine zerstörte Stadt. Da wir ein größeres Grundstück überqueren wollten, verschafften wir uns erst einmal von einer höher gelegenen Veranda einen Überblick. Leise schlichen wir die Treppe hinauf, ich hatte eine MP7 und sicherte damit. Von oben konnten wir mehrere Velociraptoren (allerdings in der Jurassic Park-Ausführung) entdecken. Sie liefen ständig hin und her, so dass ich nicht vernünftig auf sie zielen konnte.

Da kamen plötzlich Leute aus dem Haus, zu dem die Veranda gehörte. Sie stellten sich als eine Familie heraus und baten uns, nicht auf die Raptoren zu schießen, denn die wären zahm. Verwundert folgten wir ihnen nach drinnen und bekamen zu essen. Später gingen wir wieder raus und dort hatten sich die Raptoren in Menschen verwandelt. Auch sie bildeten eine Familie. Ein Raptorenjunge fragte uns, warum wir auf sie schießen wollten. Ich erklärte, dass viele ihrer Art für uns Menschen gefährlich wären und wir deswegen Angst hätten. Der Junge bedankte sich für meine Worte.

Später kam ich wieder alleine zurück zu dem Haus, doch jetzt hatten die jungen Männer aus dem Club das Haus besetzt und alle – auch die Raptorenfamilie – als Geiseln genommen. Die Raptoren hatten nämlich nach meiner kleinen Rede beschlossen, für immer die menschliche Gestalt zu behalten.

Das fand ich rührend, aber auch sehr dumm.


Beim Doc bekomme ich eine gute Nachricht: Meine Blutwerte sind alle in Ordnung.

Die Dosis des Blutdrucksenkers muss erhöht werden.

Nach dem Arztbesuch gehe ich noch schnell einen Kaffee trinken. Durch einen glücklichen Zufall bekomme ich mein Heißgetränke kurz bevor die Schülerinnen und Schüler des nahen Berufskollegs Fütterungszeit haben. Die jungen Menschen sind sehr unterschiedlich: Groß und klein, dick und dünn. Ein Mädchen trägt Kopftuch, ein anderes ist hoch aufgeschossen und schwer geschminkt. Viele Hautfarben und Augenformen stehen in der Schlange um Laugenstangen und Süßgebäck an.

Die Sonne scheint.

Eine Bäckereifachverkäuferin macht Rührei und als sie die gelb-weiße Masse auf einen Teller schaufelt, ruft ein vielleicht zwei Jahre alter kleiner Junge: „ Ei! EIIIIII!!“.


Über meinem Schreibtisch dröhnt und hämmert es laut. Sicher wird gerade neu gefliest.


Die neue Wolldecke riecht nach Schaf und ich denke, ich werde sie mal waschen müssen.


Früher, wenn im Herbst die Lurche in den Keller krochen und meine Mutter dort einen fand, rief sie immer nach mir. Ich legte mir das grüne Ding dann immer vorsichtig auf die Hand und betrachtete jedes Mal voller Staunen dieses urzeitliche Wesen. Manchmal stupste ich das Tier auch leicht an, doch in der Regel war es zu verängstigt, um sich zu rühren.

Dann trug ich den Lurch nach draußen und legte ihn unter den Busch.

Diejenigen Lurche, welche meine Mutter nicht fand, verwandelten sich bis zum Frühjahr in vertrocknete Mumien.


“Lass es los!” sagt die Stimme der Vernunft “Du weißt doch, dass es das Beste ist!”

Ich nicke. Die Vernunft hat ja Recht: Ich muss loslassen.

Ganz langsam beuge ich mich hinunter und – sachte, sachte – lege das Gefühl unter den Busch. Dann stehe ich wieder auf. Meine Hände spüren noch die Wärme des Gefühls. Es ist so klein, wie es dort unten legt, aber es ist doch auch so unendlich schwer.

Tränen steigen auf, die Hände beginnen zu Zittern. Mein Herz krampft vor Trauer, so als ob ihm nun ein Stück fehlen würde.

Das wilde Begehren, den zarten Wunsch, den süßen Traum: Das alles lasse ich nun los.

Dann drehe ich mich um und gehe fort.

Gebeugt von Trauer und dennoch frei.


Für den vorangegangenen Kitsch bitte ich die Lesefröschlein um Verzeihung:
Meine Gefühle halten selten Maß.


In der Gruppentherapie erst ganz nach unten bis zum Grund

getaucht, um dann wieder prustend die Oberfläche der Gegenwart zu durchstoßen – wie ein Karpfen, der sich beim Gründeln verschluckt hat.

Um es ein wenig sybillinisch auszudrücken: Ich weiß nun, um wen ich mich kümmern muss!


Am Abend trägt Freund M. mir das Altpapier an die Straße. Danach brät der Fußkranke Kartoffeln nach Mutters Art.

Als er jedoch keck auch Mittelmeer und Orient den feierlichen Einzug in die gute, alte Bratpfanne gewährt, greift er direkt nach dem Schneiden der frischen Peperoni sich in das linke Auge und kann auf diesem für gute zwei Stunden nichts mehr sehen.


Interessant ist die Erkenntnis, dass es immer zwei Seiten gibt. Ein wenig unangenehm kann es sich anfühlen, wenn man entdeckt, dass man selber auf einem der beiden steht!

Mit diesem Gedanken schließe ich Buch, Augen und Tag.