Donnerstag, 30.11.2023

Der Schlaf ist gut und tief wie ein warmer, runder Bauch.

Mir träumt ich diene in der Schweizer Atombombenflotte als Dichtschütze. Ich sitze mit meinen Gedichten in einem großen Bomber und wir düsen in Formation über den Himmel. Doch ich bekomme Angst und mir fallen die zwei Segelflugzeuge ein, die bei schweizer Bombern immer an der Oberseite befestigt sind. Ich steige in eines ein und löse mich vom Flugzeug. Es ist als ob ich langsam falle. Unter mir ist das endlose Meer. Werde ich dort abstürzen und ertrinken? Doch dann sehe ich grüne Flecken: Kleine Inseln in der See. Die Insel, auf der ich lande, ist enttäuschend klein, doch es soll wohl gehen.

Später wohne ich in einer Bibliothek und bin froh, die Netzteile für das iPhone und die anderen Geräte mitgenommen zu haben. Ich versuche, meinen Eltern und einigen anderen wichtigen Menschen eine WhatsApp-Nachricht zu schicken, dass ich noch lebe, aber ich verirre mich in der Oberfläche des Programms.

Ich stehe erst um halb acht Uhr auf. Bin doch ganz schön erschöpft, denn es passieren so viele Dinge in meinem Kopf. Immer wieder tauche ich ab in die tröstende Unterwasserwelt meiner Phantasie. Doch das Leben findet an der Oberfläche statt, an der frischen Luft, an Land.

Beim Wortvogel(https://wortvogel.de/2023/11/zuckerbrot-peitsche-das-youtube-problem-und-die-unschoenen-loesungen/) lese ich über die Probleme mit der vielen Werbung auf Youtube. Noch läuft mein Youtube Premium Lite in Verbindung mit Adguard ganz gut, aber vielleicht ist das alles für mich auch mal ein guter Anlass, noch weniger Youtube-Videos zu schauen. Eigentlich sind die für mich eine ganz nette Möglichkeit, mich mal zum Runterkommen schnell abzulenken.

Vielleicht finde ich da aber auch etwas anderes?

Dann merke ich plötzlich, dass mir alles zu viel wird: Diese eine Situation, dann die vielen Menschen immer und überall und ihre Gedanken und ihre Wünsche und dann noch die eigenen Gefühle, die da immer wieder hochkommen und wieder weggehen und wieder hochkommen. Ich Idiot gehe auch noch am Freitag mit einem Freund zu einem Fußballspiel und vielleicht wird da auch jemand bestimmtes da sein und natürlich werde ich diesen Menschen inzwischen von zigtausenden von Menschen nicht sehen und doch denke ich an nichts anderes. Die Vorstellung, mit dem Freund Stunden vor und nach dem Spiel zubringen zu müssen macht mir plötzlich Angst. Dann die vielen, vielen Menschen, die alle gleichzeitig in ein Stadion atmen und das viele Bier und ich bin doch nüchtern und kann mir nicht einmal einen dicken Panzer aus Rausch antrinken, damit ich das alles aushalte.

Irgendwie durchhalten! Irgendwie aushalten! Nur noch heute! Nur noch morgen! Dabei habe ich heute Abend ja überhaupt nichts vor, aber das hören die Angst und der Ärger in mir nicht.

Dazu gleite ich immer wieder weg aus der Wirklichkeit und gerade bauen sich dort in der Traumwelt wieder ganz automatisch Geschichten, die mir weh tun und in denen ich verzweifelt in der Dunkelheit stehe und weine und niemand ist da, der mich tröstet und alle sagen ,,was hast Du jetzt schon wieder angestellt mit Deinen Gefühlen, Du Döfchen! Warum fühlst Du immer so?“.

Mittags raus zu Takumi. Ich bestelle zur üblichen Portion Ramen noch Gyoza (diese gefüllten Teigtaschen) dazu, obwohl ich weiß, dass die Suppe eigentlich mehr als ausreicht als Portion. Einfach nur: Rein, rein, rein! Keine Ahnung, ob ich die Veggi-Gyoza oder die Chicken-Gyoza bestelle. Es schmeckt irgendwie knusprig. Dann steigt mir von hinten die Angst den Rücken hoch. Ich muss raus hier! Raus! So wie in einem Film einer reingerannt kommt und schreit ,,Raus! Raus! Hier geht gleich alles hoch!“ oder wie damals wohl der Hausmeister ins Kölner Stadtarchiv gelaufen ist um die Menschen zu warnen. Aber wo soll ich nur hin? Ich kann rennen so weit ich will – ich bin ja immer noch da.

Dann aber denke ich an Dich und an Deine Augen und an Deinen Blick letztens. Du bist wie ein schwarzes Loch für meine Gefühle. Nimmst sie irgendwie an und verschlingst sie, konsumierst sie und nichts kommt zurück. Doch es ist nicht schlimm, es ist nur nicht gut. In der Klinik fanden alle meinen Spruch so toll: ,,Wenn etwas nicht total beschissen ist, ist es eigentlich ja schon mal ganz gut.“ Die Depressiven mochten den Spruch besonders und jetzt stimmt er wieder: Dein Blick ist klar und rein wie immer und wovor habe ich eigentlich Angst?

Natürlich reicht das der Krankheit nicht. Alle meine Krankheiten sind Lügnerinnen. Die eine sagt: ,,Wenn es vorbei ist, ist es doch gut für alle. Niemand braucht Dich!“. Die nächste sagt: ,,Wie kommst Du darauf, dass Du ohne Trinken leben kannst? Du brauchst mich!“. Wie eine sagt: ,,Du darfst nicht fühlen und Du hast kein Recht auf irgendwas! Schließ Deine Augen und Du siehst, was Dein ist: Nichts!“. Alles Lügen! Alles falsch! Alles nur in meinem Kopf.

Das ist das Problem: Es ist immer da. In meinem Kopf. Alles gleichzeitig. Eine gewaltige Kakophonie von Stimmen und Gefühlen, von Freude, Geilheit und Angst. Nur wenn ich trank, war es ruhig. In einem Cartoon von Greser und Lenz sagt eine Schnapsnase: ,,Saufen ist Urlaub vom Kopf!“ und auf perverse Weise stimmt das auch.

Irgendwann geht die Panik einfach wieder weg. Ich bleibe zurück als leere, zerknitterte Hülle. Unendlich müde.

Abends will ich noch ein wenig an der Romanidee schreiben, aber ich bin emotional so durch den Wind, dass daran nicht zu denken ist. Nach dem ungesunden Abendessen (zwei Mettwürstchen und ein Nougatcremering – immerhin alles bio!) gehe ich noch vor zwanzig Uhr ins Bett und lese dort noch etwas.